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sortimenterbrief April 2021

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Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe April 2021.

Ronny Kokert Der Weg der

Ronny Kokert Der Weg der Freiheit. Wie ich von Geflüchteten lernte, anzukommen 192 Seiten, Hardcover, 978-3-218-01277-5 € 22,– I Kremayr & Scheriau, ET: 26. April Ronny Kokert und seine Freedom Fighters © Lukas Beck Alle anderen Fotos: © Kokert privat Ossi Hejlek im Gespräch mit Ronny Kokert »Kämpfen zu können bedeutet, nicht mehr kämpfen zu müssen!« Was war Ihr Ausgangsgedanke beim Verfassen des Buches? Kokert: Ich möchte mit dem Buch aufzeigen, was wir von den Geflüchteten lernen können. Es geht nicht nur ums Projekt der Freedom Fighters, auch meine Reisen nach Lesbos – ins Camp Moria – haben ihren Platz im Buch gefunden. Ich beschreibe auch sehr genau, wie mich die gemeinsame Arbeit mit den Menschen verändert hat. Als ich vor fünf Jahren von den Flüchtlingen in Traiskirchen las, begann ich, mich für sie zu engagieren, startete eine Spendenaktion, brachte Tonnen an Sachspenden auch persönlich dorthin. Dadurch kam ich mit den Menschen ins Gespräch, erfuhr über deren Geschichten und Schicksale, war sehr berührt. Ich selbst hatte in meiner Kindheit traumatische Erlebnisse, die mich zur Kampfkunst führten. Dadurch lernte ich, mit meiner Angst und meiner Wut gut umzugehen. Als ich also mit den Burschen in Traiskirchen sprach, ihnen erzählte, dass ich Kampfsport unterrichte, merkte ich, dass wir einander in einem bestimmten Punkt berühren. War dadurch auch der gegenseitige Respekt für Sie gleich merkbar? Kokert: Sofort – ganz stark. Wir begegneten einander sehr respektvoll. Junge Männer – teilweise auch Frauen –, die am Weg zum Erwachsenwerden sind, haben Krieg und Terror erlebt, leben mit einer permanenten Gefühlsmelange aus Angst und Aggression. Mit Ausdruckstanz hätte ich sie wahrscheinlich nicht abholen können. Sie wollten ihre Gefühle ausleben, sich als Mann finden – als Mensch. Mit dem Kampfsport kann ich diese Angst greifen und verhindern, 18 sortimenterbrief 4/21

wie ich von geflüchteten lernte, anzukommen dass sie sich in Wut kompensiert. Den Menschen gelingt es damit, ihre Gefühle in Mut umzulenken. Es geht um den konstruktiven Umgang mit den eigenen Gefühlen, das Erleben, dass ein anderer – der potenzielle Gegner – der Spiegel meiner inneren Widerstände ist. Gelingt es, diese inneren Widerstände aufzulösen, entsteht daraus ein respektvolles Üben – ein Miteinander. So entstanden die Freedom Fighters? Kokert: Ich startete das Projekt mit 20 Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Das Training mit ihnen erfüllte auch mich, da ich merkte, dass ich mit meinem Handwerk anderen Menschen helfen kann. Beim Training stand nicht der „Haudrauf-Kampfsport“ im Mittelpunkt, sondern der Spirit – auch die körperliche Weichheit und Leichtigkeit. Da ich die Fortschritte wahrnahm, beschloss ich, die Burschen auf Turniere vorzubereiten, da ich auch der Meinung war, dass ihnen ein strukturierter Trainingsplan und ein Ziel vor Augen gut täten. Ich bereitete sie dann auf die Österreichische Staatsmeisterschaft vor, an der sie eigentlich gar nicht hätten teilnehmen dürfen. Über den Präsidenten des Kickbox-Verbands bewirkte ich jedoch eine Ausnahmeregelung – eine Teilnahme auch ohne Staatsbürgerschaft. Die Bemühungen wurden belohnt, Ismail wurde Staatsmeister, und wir belegten auch noch einige zweite und dritte Plätze. Von null auf Staatsmeister in so kurzer Zeit – wie funktioniert das? Kokert: Einerseits betreuten wir sie gut. Andererseits brachten sie einen besonderen Spirit mit. Ismail flüchtete mit 16 Jahren aus Kabul, nachdem er bedingt durch einen Bombenanschlag unter Trümmern begraben war. Daraufhin sortimenterbrief 4/21 Ismail Noori wurde 2017 Österreichischer Staatsmeister – links im Bild als stolzer Kochlehrling im Hotel Sacher ging er zwei Monate durch Pakistan und den Iran, fuhr übers Mittelmeer, wo er zweimal kenterte. Letztendlich schaffte er es über die Balkanroute bis nach Österreich, wo er im Flüchtlingsheim in Traiskirchen zu kochen begann. Er ruht mit seinen jungen Jahren derart in sich, hat einen Kampfgeist und ein Durchhaltevermögen, die ihresgleichen suchen. Bei der Staatsmeisterschaft ging er stets voran – ein Zurück gab es für ihn nicht. In Wirklichkeit war er zutiefst erschöpft, auch weil er als Folge des Bombenangriffs unter schwerem Asthma leidet. Dieser Kampfgeist – entstanden durch den eigenen Kampf ums Überleben – ist einzigartig. Aus einem solchen Kampfgeist ein Kämpferherz entstehen zu lassen, war und ist bei diesem Projekt meine Aufgabe. Abbas Salih wurde 2020 Weltmeister im Kicklight- 60 kg und gewann im Lightcontact Silber. Neben ihm erreichte das Team rund um Kokert noch einmal Gold, einmal Silber und dreimal Bronze. Wo fand eigentlich das Training statt, in Traiskirchen? Kokert: Nein, bei mir im Shinergy- Zentrum in der Lange Gasse. Die Teilnehmer kamen ja auch aus ganz Wien. In den letzten fünf Jahren waren es rund 250 Freedom Fighters, die ich trainiert habe. Tolle, anständige Burschen! Menschen, die mitmachen wollten, aber zu aggressiv waren, zu wenig auf andere geachtet haben, sich bestimmten Regeln nicht unterwarfen, nahm ich nicht auf. Ich begleitete die Burschen auch zu ihren Asylverfahren. Die ständige Angst vor Abschiebung ist ein großer Druck für sie. Ich bemühte mich auch, für sie Lehrstellen und Jobs zu finden – Ismail konnte beispielsweise als Kochlehrling einen Platz im Hotel Sacher bekommen. Mittlerweile ist er ausgelernter Koch und erhielt auch die temporäre Aufenthaltsgenehmigung. Was haben Sie selbst dabei gelernt? Kokert: Es bedeutet nicht, dass die Burschen Superhelden sind. Sie hatten alles verloren, flüchteten Die Freedom Fighters kämpften bei der WM 2020 für Österreich 19


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