Unsere Online-Publikationen zum Blättern

Aufrufe
vor 4 Jahren

sortimenterbrief Dezember 2019

  • Text
  • Europa
  • Dezember
  • Menschen
  • Kinder
  • Hardcover
  • Sortimenterbrief
  • Wien
  • Buch
  • Verlag
  • Isbn
Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe Dezember 2019

uchrezension

uchrezension www.mottingers-meinung.at Mottingers Meinung Das Blut klebt fest an ihren Federn Erst in Teil IV beginnt das Powwow, drei Viertel des Buches wird auf diese festliche Zusammenkunft im Oakland Coliseum langsam hingeschrieben, nun aber erhöht der Autor die Schlagzahl seiner Trommler. Die Tänzer treten auf, unter ihnen Orvil Red Feather; Tony Loneman ist ebenfalls im Stadion, auch Dene Oxendene und Opal Viola Victoria Bear Shield mit ihrer Schwester und Orvils Großmutter Jacquie. Sie alle, über die man bis dahin seitenweise erfahren hat, erleben jetzt in wenigen Sätzen, wie sich über den Sound der Schlägel das Stakkato von Schüssen legt. Vor Bestürzung schnell liest man bis zu diesem beklemmenden Schluss – um endlich zu wissen, wen die Kugeln getroffen haben, und wo ihr Ziel verfehlt. Nun ist es gewiss bei Rezensentenehre verboten, ein Romanende zu spoilern, doch im Fall von Dort Dort ist dies alles abschließende Massaker gleichbedeutend mit dem Leitgedanken von Tommy Oranges literarischem Debüt. Orange, selbst aus Oakland und Mitglied der Cheyenne and Arapaho Tribes of Oklahoma, schildert in seinem Erstling sozusagen aus erster Hand das Schicksal jener Native Americans, die von Reservatsbewohnern längst zu „Urban Indians“ wurden. Schildert ihre bei der Absorption durch die Großstädte nicht geringer gewordenen Probleme von Arbeitslosigkeit bis Alkoholismus – und die daraus resultierende Gewalt. Und natürlich stellt Orange, Mutter weiß, Vater Cheyenne, er selbst ob seines Äußeren oft als „Chinese“ beschimpft, auch immer wieder die Identitätsfrage, wie es ist, ambiguously nonwhite/nicht eindeutig nichtweiß zu sein. Dort Dort, der Titel bezieht sich auf Gertrude Steins „The trouble with Oakland is that when you get there, there isn’t any there there“ aus „Everybody’s Autobiography“, womit die Schriftstellerin wohl ausdrücken wollte, dass sich das Oakland ihrer Kindheit so verändert hätte, dass es für sie dort kein Dort mehr gibt, „Dort Dort“ also entwickelt durchs Erzählen vom Leben von zwölf Charakteren einen Sog, dem sich zu entziehen unmöglich ist. Kein Wunder, dass Barack Obama den mittlerweile Pulitzer-Preis-Finalisten auf seine legendäre Sommerleseliste setzte. Bevor Tommy Orange den Leser allerdings in die Handlung entlässt, behandelt er in einem Prolog, beinah zu bestialisch, um es wiederzugeben, Klischees über die und Gemetzel an der „Rothaut“. „Wir wurden von allen anderen definiert und werden hinsichtlich unserer Geschichte und unseres aktuellen Zustands als Volk nach wie vor verleumdet“, schreibt Orange, und rechnet ab mit dem Westernbild eines John Wayne, Wolfstänzer Kevin Kostner und dem Film-„Häuptling“ Chief Bromden, der, statt wie im Buch Protagonist, auf der Leinwand nur noch der schweigsame Waschbeckenwerfer sein darf. „Wir sind die Erinnerungen, die wir nicht mehr haben“, sagt Orange, und „die Kugeln flogen ins Nichts falsch geschriebener Geschichte. Diese verirrten Kugeln und Konsequenzen schlagen auch heute noch in unsere arglosen Körper ein ...“ Deutlicher lässt sich eine von Rassismus und Repression bestimmte Realität kaum fassen. Orange spannt den Bogen von der „unversorgten Wunde“ von damals zum entzündlich-unverheilten Jetzt. Immer noch klebt das von Landspekulanten und Kolonisten vergossene Blut der Native Americans fest an ihren Stammesfedern, Symbol dafür – die Coverillustration. Sein Dutzend Figuren präsentiert Orange zunächst einzeln, bevor er es über Verwandtschaftsverhältnisse allmählich zusammenführt. Zu den wichtigsten zählen: Tony Loneman, 21, Cheyenne- Abstammung, Säuferinnenkind mit fetalem Alkoholsyndrom, Drogendealer in Ermangelung einer anderen Erwerbstätigkeit, der in voller Tracht zum Powwow gehen will. Dene Oxendene, Angehöriger der Cheyenne und Arapaho Tribes, dem sein Onkel als Erbe ein Dokumentarfilmprojekt überlassen hat, für das er beim Powwow Storys und Anekdoten von Oakland-Indianern sammeln will. Die Halbschwestern Opal Viola Victoria Bear Shield und Jacquie Red Feather, erstere „ein Fels, aber in ihr wohnt wildes Wasser“, zweitere eine ständig mit dem Trockenbleiben kämpfende Drogenberaterin, beide 1969 von ihrer Mutter zur Besetzung der ehemaligen Gefängnisinsel Alcatraz mitgenommen, wo Angehörige verschiedener Tribes gegen die „Indianerpolitik“ des Weißen Hauses protestierten, beide durch die brachiale Vorgehensweise bei dieser Inbesitznahme traumatisiert. Dort Dort ist ein „Red Power“-Buch, das Menschenwürde und Menschenrecht gegen Feindbild und Feindseligkeit in die Waagschale wirft, eines, das ohne die Paraderollen vom edlen Wilden, weisen Medizinmann oder vom wütenden Skalpjäger und Marterpfähler auskommt. Am Ende von mehr als 500 Jahren Mord und Totschlag stehen einmal mehr dieselben, und jene Stille des Sterbens, die einen verstört zurücklässt ... Auszug aus der Online-Kulturzeitschrift Mottingers-Meinung.at 288 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-446-26413-7 € 22,70 | Hanser 34 sortimenterbrief 12/19

Max Leitner saß 26 Jahre lang im Gefängnis. Fünfmal ist er auf spektakuläre Weise ausgebrochen. Fünfmal ist er wieder geschnappt worden. Clementine Skorpil Max Leitner. Ausbrecherkönig. Roman, 312 Seiten, gebunden Euro 22,00 ISBN: 978-88-7283-703-0 www.raetia.com


sortimenterbrief

Copyright 2023 | All Rights Reserved | Verlagsbüro Karl Schwarzer Ges.m.b.H.
Empfehlen Sie uns weiter!