Unsere Online-Publikationen zum Blättern

Aufrufe
vor 1 Jahr

sortimenterbrief juli/august 2023

  • Text
  • Gesundheit
  • Ratgeber
  • Hobby
  • Diy
  • Umwelt
  • Klima
  • Natur
  • Buchhandel
  • Hardcover
  • Sortimenterbrief
  • Buch
  • Verlag
  • Isbn
Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe Juli/August 2023.

© Sabine Hauswirth

© Sabine Hauswirth Erfahrungshintergrund ausgegangen, aber es wäre falsch, darin einen autobiografischen Text zu lesen. Schreiben bedeutet für mich stets, einen Abstand zu mir selbst zu finden, das allzu Nahe neu zu erfinden, gleichzeitig aber auch, mir das Fremde einzuverleiben, es zu etwas Eigenem zu machen. Was von Ihrer Erfahrungswelt in Renata eingegangen ist, ist zum Beispiel der italienische Hintergrund und das Interesse für die italienische Kultur und Geschichte. Teresa Petrovitz im Gespräch mit Sabine Gruber Ein eindringlicher Roman über Verlust und Weiterleben Frau Gruber, in Ihrem neuen Buch Die Dauer der Liebe ist Ihre Protagonistin Renata mit dem plötzlichen Tod ihres Lebensgefährten Konrad konfrontiert. Sie selbst haben vor sieben Jahren einen solchen Verlust durchleben müssen. Im Gedichtband Im Abgrund und im Himmel zuhause haben Sie diese Erfahrung poetisch bearbeitet. Inwiefern hat sich das Thema für Sie nun auch in Prosaform aufgedrängt? Gruber: Eigentlich hatte ich einen Roman zur italienischen Architektur der Moderne, die mitten im Faschismus entstanden ist, geplant, dann starben binnen weniger Jahre mein Lebensgefährte, mein Vater und am Ende noch ein sehr lieb gewordener Freund, dem ich das Buch gewidmet habe – es ging gar nicht anders, ich musste mich dem großen Thema des Abschieds und der Trauer stellen. So habe ich dann das eine mit dem anderen verbunden. Wie würden Sie Ihren Roman aus formaler Perspektive beschreiben? Was war Ihnen beim Schreiben wichtig? Gruber: Ich habe versucht, für die psychischen Zustände der weiblichen Hauptfigur eine entsprechende Form zu finden. Bei Rilke habe ich gelesen, dass ein erschüttertes Leben nur in Fragmenten erzählt werden kann. Der plötzliche Tod eines Menschen kann bei der trauernden Person die Zeitwahrnehmung verändern. Renata spricht im Roman an einer Stelle von Einzelteilen, die im Fluss auseinandertreiben. Erst nach vielen Monaten kommt sie wieder ins Erzählen. Wie in allen meinen Romanen bin ich auch in Die Dauer der Liebe zum Teil von einem persönlichen Gruber: Meine Muttersprache ist Deutsch, ich bin aber bikulturell aufgewachsen und kenne die Gegend, aus der Renatas Verwandte kommen, gut, habe mich aufgrund eines Stipendiums länger im Latium, südlich von Rom, aufgehalten, wo sich auch Mussolinis Retortenstädte befinden, die alle in den 1930er Jahren entstanden sind – Konrads Steckenpferd. Renata ist eine reflektierte, interessierte und sensible Frau, Konrads Tod lässt sie orientierungslos zurück, „wie nach einem Traum, aus dem man erwacht und nicht mehr weiß, wer man ist und wo man sich befindet.“ Gruber: Der unerwartete Tod eines Menschen ist ein traumatisches Ereignis, es führt zu Dekonzentration, Wortfindungsstörungen, zur Erstarrung. Man wird von einem Moment auf den anderen auf sich selbst zurückgeworfen, ist nicht mehr durch den Liebsten oder die Liebste abgelenkt. Renata kann auf ihre Freund:innen und ihre Familie zählen, das rettet sie. Neben der emotionalen Dimension sieht sie sich unvermittelt mit konkreten materiellen Problemen konfrontiert, die der Tod ihres Lebensgefährten mit sich bringt: Die beiden waren nicht verheiratet. Die Familie Konrads erkennt Renata nicht an. Es gibt kein offizielles Testament. Inwiefern war Ihnen das Aufarbeiten dieses Themas wichtig? 16 sortimenterbrief 7-8 /23

was bleibt von einem geliebten menschen? Gruber: Ingeborg Bachmann sagte einmal über die Ehe, sie sei eine unmögliche Institution für eine Frau, die arbeitet und die denkt und selber was will. Dieses Zitat lege ich auch Renata in den Mund. Das Paar in dem Roman wollte nicht heiraten, die beiden hätten geheiratet, wenn sie Nachwuchs bekommen hätten, um ihr Kind abzusichern. Renata brauchte keinen Versorger, sie ist eine emanzipierte, eigenständige Frau. Sie verdient ihr Geld als Übersetzerin. Ihr Unglück bzw. ihr Schmerz ist vielmehr, dass sie Konrads Wünsche nach dessen Tod nicht erfüllen kann, weil sie als Unverheiratete − selbst nach 25 Jahren Beziehung − keinerlei Rechte hat. Wer die Ehe nicht eingehen will, darf es nicht verabsäumen, ein rechtsgültiges handschriftliches oder notariell beglaubigtes Testament zu hinterlassen. Das ist vielen nicht klar. Nach dem Fernerrücken des Verlustes hat Renata immer mehr das Gefühl: Konrad geht mir verloren. Gruber: Was bleibt von einem geliebten Menschen? Nach dem Raubzug von Konrads Familie hat Renata nur noch die Erinnerung, ihre Sichtweise auf Konrads und auf ihr gemeinsames Leben. Trauernde tendieren zur Idealisierung des Verstorbenen, aber die Zeit überzeichnet die ursprünglichen Bilder. Konrad fotografierte Architektur an der Schnittstelle von Faschismus und Moderne, er überarbeitete die Fotografien. Seine Arbeitsweise ist ähnlich der Renatas, die ihr Bild von Konrad einer Revision unterziehen muss. Das führt sie letztlich auch zurück ins Leben. Ein genauer Blick, ein wenig Wut − sie können heilsam sein. Was sie auch ins Leben zurückführt, ist der Versuch, wieder zu lieben. Gruber: Immer mehr Boomer:innen sind geschieden, getrennt oder verwitwet, die Auswahl an neuen Partner:innen ist für Renata gar nicht so klein. Aber es stellt sich natürlich die Frage, ob die Herren ihren Ansprüchen genügen. Jedenfalls ist sie mutig, gibt nicht auf und das Ende – wir wollen es nicht verraten – ist doch vielversprechend. Ob die Sprache überhaupt jemals ausreichen kann, um den Schmerz abzubilden, ist eine Frage, die Schriftsteller:innen seit Anbeginn der Literatur beschäftigt. Zu welchem Ergebnis sind Sie für sich persönlich gelangt? Gruber: Ich glaube, dass Direktheit und Klarheit eine Möglichkeit sind, den Schmerz zu beschreiben, ganz ohne jeden Trost, ohne die Gefühle in den Vordergrund zu rücken. Vielleicht kann man sich dem Schmerz überhaupt nur nähern, indem man unaufgeregt und präzise die Wirklichkeit beschreibt, die ihn umgibt. Werden Sie aus Ihrem Buch lesen? Gruber: Es gibt schon viele Termine: Ich lese im Juli in Lana in Südtirol, im August − unter anderem − bei den o-tönen im Wiener Museumsquartier sowie in Feldthurns in Südtirol, im September in Vöcklabruck, Bleiburg und Bad Fischau. Herzlichen Dank für das Gespräch! Sabine Gruber Die Dauer der Liebe 251 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-406-80696-4 € 24,70 | C.H.Beck, ET: 13. Juli »Ein wahrer Gigant, eine Inspiration« (Salman Rushdie) HARRO ZIMMERMANN GÜNTER GRASS Biographie 944 Seiten, mit zahlr. teils farbigen Abb. Geb., mit Schutzumschlag und zwei Lesebändchen € 50,40 ISBN 978-3-95510-332-3 Erscheint am 29.08.2023 Schriftsteller und Bildkünstler, streitbarer Geist und Literaturnobelpreisträger. Das Leben und Werk von Günter Grass in einem Buch, das als künftiges Standardwerk gelten kann sortimenterbrief 7-8/23 17


sortimenterbrief

Copyright 2025 | All Rights Reserved | Verlagsbüro Karl Schwarzer Ges.m.b.H.
Empfehlen Sie uns weiter!