uchrezension www.mottingers-meinung.at Mottingers Meinung Dass das Buchcover Frederic Remingtons Historiengemälde „Coronados Weg nach Norden“ zeigt, ist die letzte Treppe zum Aberwitz der Geschichte, war dieser doch im Wettrennen der Konquistadoren Hernando de Sotos schärfster Konkurrent. Dem erfolglosesten aller spanischen Eroberer der Neuen Welt widmet Franzobel sein jüngst bei Zsolnay erschienenes Buch Die Eroberung Amerikas, vom Autor Ferdinand Desoto genannt, der 1538 von Kuba aus mit 800 Mann, darunter 24 Priester, neun Schiffe, 220 Pferde, eine Meute Kanarischer, auf Menschen scharf gemachte Doggen, eine Schweineherde und – für die Errichtung der ersten Kirche ebendort – die riesige Glocke Griselda aufbrach, um zum Adelantado Floridas zu werden. Eine Expedition, von der 1542 noch genau 211 Teilnehmer, kein Pferd, kein Hund, kein Schwein, kein Desoto, der im Mai des Jahres an der Fieberkrankheit verstorben war, mit Müh’ und Not Mexiko erreichten. Desoto, der mit Dávila nach Panama ging, mit De Córdoba Honduras und Nicaragua kolonialisierte, Pizarro nach Peru begleitete, ein Freund Atahualpas wurde. Dessen Schwesterfrau Tocto Chimpu, Prinzessin von Curicuillor, schwängerte, sich mit Pizarro wegen Atahualpas Hinrichtung überwarf, zurück in Sevilla Dávilas Tochter Isabella heiratete und nun – kein El Dorado, kein Gold, ein Fiasko, ein Desaster, Gemetzel entmenschter Glücksritter, Massenmörder, die mit Heerpauke, Schlaginstrument wie Hose, und federgeschmücktem Morion ganze Völker ausrotten. Welch ein Weltbild, das Franzobel da bloßlegt, in seinem Schlachtengemälde, von dem er frech den Firnis des Renacimiento kratzt: Karl der Fünfte ein gichtkranker, spaßbefreiter Fanatiker mit einem so veritablen Unterkieferproblem, dass nicht einmal Tizian ihn schönen konnte, und verglichen mit dessen Willkür die Inquisition wie „ein altruistischer Anglerverein”. Fabulierkünstler Franzobel lädt ein zu einer Tour de Farce, für die man einen guten Magen braucht. Die Eroberung Amerikas ist ein saftiges Stück Literatur, ein Roman, in dem Gewalt und Groteske Ringelreihen tanzen, ein politisches Buch voller Popkultur-Bezüge, wie es in die Gegenwart nicht besser passen könnte. Mit Verve und dem Prädikat Volksmärchendichter verknüpft Franzobel das Faktische mit einem Surrealismus, der seinesgleichen sucht, je weiter fortgeschritten, desto skuriller und irrer wird diese Gesellschaftssatire. Franzobel – immer ein Eulenspiegel, und man möchte sagen: Er hat den „Baudolino” studiert. Sein herrenrassiges, reinweißes Pandämonium umkesselt Franzobel mit einer Rahmenhandlung. Der Manhattaner Anwalt Trutz Finkelstein verklagt als Rechtsvertreter von mehr als 60 Stämmen die USA auf Rückgabe der Vereinigten Staaten an deren indigene Völker. In ihrem Namen verlangt er radikale Wiedergutmachung für historische Verbrechen: „Sie bezichtigten die USA der illegitimen Landnahmen, wollten eine Rückgabe des gesamten Bundesgebietes – und zwar einschließlich Alaska und Hawaii sowie aller beweglichen und unbeweglichen Güter“, wie ein verblüffter Richter aus „dieser Idiotie“ vorliest. Für den beruflichen wie privaten Blindgänger Finkelstein wird’s einen „Happylog” geben, eine Utopie am Ende, die die Native Americans mit einem „Hugh” bedanken. Franzobels 544-Seiten-Text erstürmt derweil „eine Ansammlung Mensch gewordener Todsünden”, die Recken des disziplinierten, durchaus eitlen Karrieristen Desoto: der wollüstige Verseschmied Nero mit seinem Rauhaardackel „Ägypterkönig Ramses”, Trunkenbold Moskito, der so kaltherzige wie kaltschnäuzige Añasco, der bildschöne Frauenfeind Nuño, der kleinwüchsige, maliziöse Rodrigo. Rundum gruppieren sich Desotos Ehefrau Isabella, eine frigide, durchgestylte Blondine, die Augenweide im Bett trocken wie ein entrindeter Baumstamm; ihr stolzer, von seiner Überlegenheit überzeugter Indianer-Sklave Julius Cäsar; Freibeuter, deren Dauerversagen den Asterix-Piraten Reverenz erweist. Unter ihnen die gerade noch vom Galgen gehechteten Ganoven Bastardo und Cinquecento, die beiden bald der Clou der Desoto- Expedition, also quasi Robert Redford und Paul Newman, die in Griselda ihr gestohlenes Gut gebunkert haben. Der schiffbrüchige Elias Plim, der als Liebesdiener in Algier einer Hexe den Esel machen musste; Notar Turtle Julius, der auf den Spuren des Universalerben, des gräflichen Bastards Bastardo, im Wortsinn in seine Einzelteile zerfällt. Der real existiert habende Juan Ortiz, der mit der Narváez-Expedition nach Florida gekommen, von den Uzica gefangengenommen worden und alsbald Vater vieler Kinder war; die ebenfalls historisch belegte Prinzessin von Curicuillor samt Desoto-Tochter Leonor, die auf Kuba Isabella das Leben schwer macht; Desotos brachialgläubiger Priester-Cousin Juan, „ihre Invasion war mit Gier nach Edelmetallen und der Errettung von Seelen begründet“, schreibt Franzobel; der einbeinige Schiffsjunge Jonas; der schwäbische Kaufmann Gunkel; Flintenweib Francesca, die ihren mickrigen Ehegatten nicht allein in die Fremde ziehen lässt und bald zu Leib und Seele des Desoto-Trupps wird ... Aus der Online-Kulturzeitschrift Mottingers-Meinung.at Franzobel Die Eroberung Amerikas 544 Seiten, Hardcover, mit Lesebändchen ISBN 978-3-552-07227-5 € 26,80 | Zsolnay 64 sortimenterbrief 5/21
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