Unsere Online-Publikationen zum Blättern

Aufrufe
vor 5 Jahren

sortimenterbrief März 2019

  • Text
  • Contemorary
  • Gasse
  • Speicherstadt
  • Isbn
  • Wien
  • Buch
  • Verlag
  • Sortimenterbrief
  • Pilgramgasse
  • Sendlinger
Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe März 2019

uchrezension

uchrezension www.barbara-brunner.at Der aktuelle Lesetipp von Dr. Barbara Brunner Von der Magie, dem Unerklärlichen und der Verlorenheit einer Kindheit. „Mnemosyne, die Göttin des Gedächtnisses, der Erinnerung, wenn man so will, ist keine zuverlässige Gefährtin. Sie, die Mutter der Musen, ließ nicht von ungefähr ihre Töchter Hesiod, damals noch Schafhirte, ausrichten, sie wüssten wohl zu lügen, aber mehr noch dem Wirklichen Ähnliches und, wenn ihnen der Sinn danach stehe, Wahres zu verkünden.“ Liebe Leute, dieses Zitat aus Barbara Frischmuths Roman Verschüttete Milch könnte auch das Motto sein – weil: Das Buch enthält sehr viel Autobiografisches, wo aber die Grenze zwischen Realität und Fiktion ist, bleibt offen. Die erwachsene Juliane nimmt sich einige Kartons mit ungeordneten alten Fotos vor und sieht sich unversehens hineingezogen in die Geschichten ihrer Kindheit, als sie noch „die Kleine“ oder einfach „Juli“ genannt wurde. Juli ist ein neugieriges Kind, voller Fantasie, aber viel allein gelassen mit ihren Gedanken und Träumen – geboren während des Zweiten Weltkriegs in einem Dorf in den Alpen, unschwer als Altaussee zu erkennen. Die Mutter führt ein kleines Hotel und hat wenig Zeit für Juli, eine Reihe von Kindermädchen ziehen vorbei, denen Juli erfolgreich zu entwischen versteht. Ihre Spielgefährten sind die Tiere – Katzen, Hunde, die heimlich mit ihr das Bett teilen dürfen, ein Truthahn, der sie auf halbem Weg von der Schule abholt, ein Kanarienvogel, der im Winter in ihrem Zimmer erfriert, Goldfische, Hasen und ein Zicklein – manche dieser Tiere verschwinden plötzlich, um als Festtagsbraten wieder aufzutauchen, bald schon ist Juli mit dem Sterben von Tier und Mensch konfrontiert. Es ist Krieg und es geht ums Überleben. Viele Menschen werden in das Hotel der Großeltern und in die kleine Dependance der Eltern einquartiert, Familien aus Wien ebenso wie später Mitglieder der faschistischen Exilregierungen von Rumänien und Ungarn, aber auch Familien von hochrangigen Nationalsozialisten, und so findet Juli die verschiedensten Spielgefährten – besonders nahe steht ihr ihr Cousin Robi, der teilweise in Wien und im Dorf lebt, vor beiden ist so gut wie nichts sicher. Ein ziemlich furchtloses Kind ist sie, auf die das Wasser des Sees eine besondere Faszination ausübt, was ihr fast zum Verhängnis geworden wäre, sie sich aber trotzdem nichts sehnlicher wünscht, als den Wassermann kennen zu lernen. Schon immer haben sie Geschichten fasziniert, die, die von den Kinderfrauen erzählt oder vorgelesen wurden, aber auch jene, die sie bei den Erwachsenen aufschnappt und die sicher nicht für ihre Ohren bestimmt sind. Ihren Vater hat sie so gut wie nicht gekannt – von ihm findet sie nur zwei Fotos, aber auch Bilder eines französischen Kriegsgefangenen, der im Hotel aushelfen musste, verstören sie – hat er doch die Mutter nach Kriegsende nochmals besucht und ihr zwei wunderschöne Kleider und eine Puppe mitgebracht – und ist da eine Ähnlichkeit zwischen ihr und ihm? Einige Jahre, nachdem der Vater im Krieg gefallen ist, heiratet die Mutter ein zweites Mal, einen lebenslustigen Burschen, der die Bar im kleinen Familienbetrieb führt und sich dabei selbst aufs Beste bedient ... Weitere Fotos der Familienmitglieder tauchen auf und damit ihre Geschichten, die der Urgroßeltern, Großeltern, Onkel und Tanten wie die von Tante Hanna, der Widerstandskämpferin: „Schon viel früher hatte sie der Mutter unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit erzählt und gezeigt, wo sie in Wien Juden versteckt hielt und wie sie einigen von ihnen mit gefälschten Pässen zur Ausreise verhelfen hatte können. Dazu brauchte es Kontakte zu Nationalsozialisten, die ihrer Sache nicht oder nicht mehr sicher und zu Hilfeleistungen bereit waren. Hanna, meinte die Mutter einmal, wollte helfen, und sie traute sich was. Du musst die schreienden, stiefeltretenden Mannsbilder spüren lassen, sagte Tante Hanna mehrmals zur Mutter, dass sie ohne ihre Uniform nichts sind. Mit den anderen redest du besser, versuchst, ihre Schwächen zu finden, sie an ihre Gefühle zu erinnern und sie auszuhorchen. Hanna war, als sie noch in Wien lebte, in ihrer Gruppe die, die das am besten konnte, vor allem das mit den gefälschten Papieren. Ab 44 gehörte sie dann auch der regionalen Widerstandsbewegung an.“ Schon früh kann Juli lesen und flüchtet sich von da an in die Abenteuerwelt der Bücher, sie wird zu einer begnadeten Geschichtenerzählerin, was ihr später, als sie im Internat in der Klosterschule ist, das Leben erleichtern sollte. Überhaupt die Klosterschule: Das Buch erzählt auch von dieser Zeit, allerdings geht die erwachsene Juli mit den Erinnerungen an die Klosterschwestern und ihr Regime milder um als die junge Barbara Frischmuth in ihrem ersten Erfolgsbuch. „There‘s no use crying over spilled milk“: Die Erkenntnis, Geschehnisse aus der eigenen Vergangenheit in einem versöhnlichen Licht zu sehen, macht aus diesem Buch umso mehr ein zauberhaftes Puzzle einer Kindheitsgeschichte. Zwar fehlen einzelne Teile des Bildes, andere werden durch Mutmaßungen, Möglichkeiten und Wünsche gefüllt, so wurde der Roman zu einer Spurensuche im besten Sinn des Wortes. Die viel erlebte und erzählte Zeitgeschichte enthält aber ebenso viele Geschichten vom Leben im Dorf hinter den Bergen, von den Eigenheiten der Menschen und von den Träumen des kleinen Mädchens. Dass bei vielen Puzzleteilen auch augenzwinkernder Humor durchblitzt, macht dieses ebenso warmherzige wie kluge Buch noch lesenswerter. Dem ist nichts hinzuzufügen! Herzlich Barbara Brunner 286 Seiten, Geb. mit SU ISBN 978-3-351-03710-9 € 22,– | Aufbau Verlag ET: 15. März 48 sortimenterbrief 3/19

Neu bei C.H.BECK 480 Seiten mit 12 Abbildungen, 8 Grafiken und 8 Karten. Gebunden € 26,80[A] ISBN 978-3-406-73483-0 576 Seiten mit 15 Abbildungen. Gebunden € 26,80[A] ISBN 978-3-406-73507-3 272 Seiten mit 18 Abbildungen und 4 Karten. Gebunden € 27,80[A] ISBN 978-3-406-73512-7 «Wenn heute in China ein Sack Reis umfällt, bebt die Erde.» Theo Sommer «Kaum ein anderer kann die Welt so gut mit meinen Augen sehen wie Ben. … eine der überzeugendsten Geschichten darüber, was es wirklich bedeutet, dem amerikanischen Volk acht Jahre im Weißen Haus zu dienen.» Barack Obama Arne Karsten erzählt in seinem glänzend geschriebenen Buch eine andere Geschichte des großen Epochenumbruchs jenseits der hohen Politik. 268 Seiten mit 11 Abbildungen. Gebunden € 20,60[A] ISBN 978-3-406-73441-0 «Falls Sie nicht verreisen können, gönnen Sie sich docheinfach dieses Buch. Damit kommen Sie wesentlich weiter raus.» Michael Kohtes, WDR zu den Seltsamsten Orten 272 Seiten mit 9 Abbildungen. Gebunden € 20,60[A] ISBN 978-3-406-73219-5 Obwohl dieses Buch von Algorithmen handelt, ist es eigentlich kein Buch über Algorithmen. Es geht um Menschen. Es geht darum, wer wir sind, wohin wir gehen und was wichtig ist für uns – und wie sich das durch Technologie verändert. 629 Seiten. Gebunden € 26,80[A] ISBN 978-3-406-73447-2 Der alte Devraj, Chef einer mächtigen indischen «Company», ist alt geworden und will sein Erbe verteilen. Er hat drei Töchter, Ranjit Singh, sein Berater und Wegbegleiter, hat zwei Söhne, die ebenfalls mit bedacht werden sollen. Wer wird sich durchsetzen in diesem umfassenden Machtkampf, der auch ein Geschlechterkampf ist? www.chbeck.de C.H.BECK


sortimenterbrief

Copyright 2023 | All Rights Reserved | Verlagsbüro Karl Schwarzer Ges.m.b.H.
Empfehlen Sie uns weiter!