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sortimenterbrief März 2022

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Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe März 2022.

© Mario Schneider ihrer

© Mario Schneider ihrer Liebe haben. Im Buch ist das das Leben in der DDR, die Nachwendezeit, die Konfrontation mit dem Kapitalismus. Die Liebe ist das zweite Hauptmotiv: Es geht um die verschiedenen Ausformungen von Liebe, um die Sehnsüchte, die wir entwickeln, um die Wunden, die wir einander zufügen, und das Glück, das nach dem Schmerz umso größer scheint. Das Liebes-Thema wird in erster Linie durch ein junges Paar aus der DDR verkörpert, das nach Frankreich reist und bei einer französischen Provinz- Adeligen Unterschlupf findet, deren Prägung und Liebeserfahrungen in eine ganz andere Richtung weisen. Wie viel an eigener Erfahrung ist in das Buch hineingeflossen? Advertorial Teresa Petrovitz im Gespräch mit Mario Schneider Über die Liebe, den Tod und die Verlockungen unserer Zeit Herr Schneider, Bekanntheit haben Sie insbesondere durch Ihre von der Kritik gefeierten Dokumentarfilme erlangt, nach einer Erzählsammlung haben Sie nun Ihren ersten Roman verfasst. Wie kam es dazu? Hatte der durch die Pandemie verordnete Rückzug damit zu tun? Schneider: Nein, die Anfänge des Romans reichen schon viel länger zurück. Ich habe insgesamt etwa acht Jahre am Roman gearbeitet und auch parallel zu meinen Dokumentarfilmen und zu meinem Erzählband immer daran geschrieben. Der Roman spielt kurz nach der Wende, Dreh- und Angelpunkt ist das Aufeinandertreffen von Menschen, in denen sich die sehr unterschiedlichen Geschichts- und Gesellschaftsformen dieser Zeit verdichten, auch mit Blick auf ihre Gefühlswelt. Welche Kerngedanken ziehen sich durch Ihren Roman? Schneider: Es gibt zwei Hauptmotive, die den Roman charakterisieren. Da sind zum einen die gesellschaftlichen Umstände, in denen sich die Protagonisten befinden und die dann eben auch Auswirkungen auf die Art Schneider: Es finden sich tatsächlich einige meiner Wende-Erfahrungen im Buch wieder. Die Phasen der Entdeckung der „neuen Welt“ kurz nach der Öffnung bin auch ich durchlaufen, mit den ersten Kontakten nach außen, so wie sie das junge Paar im Roman erlebt. Es gibt im Roman auch Szenen, die ich tatsächlich so erlebt habe. Die Liebesbeziehung, die beschrieben wird, ist ebenfalls ein Stück weit autobiografisch. Eingeflossen ist bis zu einem gewissen Grad auch meine heutige Sicht auf die damaligen Geschehnisse. Der Zeitabstand von mittlerweile mehr als 30 Jahren hat mir das Schreiben etwas erleichtert, da sich für mich rückwirkend viele Dinge geklärt haben und sich mein Blick geweitet hat. Mit dem Titel des Romans – Die Paradiese von gestern – beziehen Sie sich auf den klassischen Topos des verlorenen Paradieses. Welche Paradiese verlieren Ihre Protagonisten? Schneider: Die Paradiese sind verschiedener Art, viele Punkte im Roman verweisen auf den Titel. Das beginnt bei Madame de Violet, die sich am Ende einer langen Kette von Generationen eines Grafengeschlechts sieht und ihr Schloss und damit ihr Zuhause 06 sortimenterbrief 3/22

debütroman des preisgekrönten dokumentarfilmers zu verlieren droht, weil es ihr Sohn, der in Paris in einer nunmehr ganz anderen Welt lebt, nicht übernehmen will. Sie betrachtet ihr Leben als eine Art Rückschau, wandert immer wieder durch ihr Schloss und fühlt und erlebt es als Vergangenheitsort. Das Thema des Verlustes spielt auch stark in die Liebesbeziehung des Paares hinein. Renés und Ellas Reise und die gesamte Welt, in die sie dort eintauchen, erweist sich im Nachgang eben auch als ein Paradies, das sie mit allen Schmerzen und allem, was zu dieser speziellen Form von Paradies dazugehört, erleben. Das Paar, aber vor allem Ella sehnt sich und strebt danach, sich immer auf dem höchsten Punkt der Leidenschaft zu bewegen, mitsamt des Auskostens aller Möglichkeiten der menschlichen Existenz. Gerade in dieser Konstellation zeigt sich dann aber umso deutlicher, dass jeder erlebte Moment viel zu schnell vorbeigeht, dass jeder Moment irgendwie immer schon in der Vergangenheit liegt – eine Erkenntnis, die sehr schmerzt. Warum haben Sie Frankreich als Handlungsort gewählt? Spielt hier auch die Tatsache hinein, dass dort mit Proust, Balzac und anderen Autoren die Wurzeln und Höhepunkte des Gesellschafts- und Erinnerungsromans liegen? Im Roman nehmen Sie auch Bezug auf sie … Schneider: Für diese Entscheidung gab es mehrere Gründe: Frankreich ist eines meiner liebsten Reiseländer. Die im Roman beschriebene Reise habe ich auch tatsächlich mit meiner damaligen Freundin unternommen. Der Bezug auf das Land und die literarische Tradition ist am stärksten in den Figuren selbst angelegt. Ella und René sprechen Französisch, anders als die meisten DDR-Bürger, sie benutzen die Sprache unter sich auch als Geheimsprache. Das Land kennen sie tatsächlich nur so, wie es ihnen in Romanen vermittelt wurde. Frankreich ist für sie ein Mysterium. Zu DDR-Zeiten war es ja tatsächlich ein verschlossenes Land, das in den Medien nicht präsent war. Ich persönlich bewundere und schätze den französischen Gesellschaftsroman tatsächlich sehr, sehe darin aber keinen meiner literarischen Schwerpunkte, sondern einen bestimmten Blick auf die Welt, den ich unter vielen habe. Wie haben Sie das Schreiben des Romans erlebt, gerade angesichts der Unterschiede, die zu Ihrem Ursprungsmetier, dem Dokumentarfilm, bestehen? Schneider: Der Dokumentarfilm ist erstmal eine sehr reale Angelegenheit, wahrscheinlich die realste, die es in der Kunst überhaupt gibt. Es war natürlich ein sehr spannender Kontrast für mich, das genaue Gegenteil davon zu machen und einen Roman zu schreiben. So hatte ich die Gelegenheit, die Fantasie – die ich im Dokumentarfilm zwar auch ausreize, in allen Formen, die dort möglich sind – völlig neu zu denken. Das ist auch das, was mich am Schreiben interessiert hat. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, dass ich durch den Dokumentarfilm sehr viel gelernt habe, insbesondere über den Menschen im Allgemeinen. Es gibt wohl kaum einen Beruf, bei dem man Menschen so nahe kommt, dass man am Ende das Gefühl hat, sie besser zu kennen als ihre eigenen Familienmitglieder. Man spricht über viel Intimes, tauscht sich intensiv aus. Ich glaube, der Aspekt der Menschenkenntnis, der über die Jahre durch den Dokumentarfilm geprägt wurde, fließt sehr stark in meine schriftstellerische Arbeit hinein. Sie haben lange an Die Paradiese von gestern gearbeitet. Werden Sie in nächster Zeit die Möglichkeit haben, die Veröffentlichung Ihres Romans gebührend zu feiern und im Austausch mit anderen vorzustellen? Schneider: Ja, es wird einige Lesungen geben, und darauf freue ich mich schon sehr. Ich lese unglaublich gerne vor Publikum und komme danach auch sehr gerne ins Gespräch. Bei meinen Filmen genieße ich es ebenfalls immer, nach der Vorstellung in den Filmgesprächen mit den Zuschauern in direkten Austausch zu treten. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass trotz der immer noch herrschenden Unsicherheit Lesungen zustande kommen. Einige stehen bereits fest, ich werde unter anderem in Berlin sein, aber auch in Leipzig, wo nach der Absage der Buchmesse zum Glück dennoch einige Veranstaltungen stattfinden. Wahrscheinlich wird es auch eine Lesung in Wien geben. Nicht zuletzt wird bald die Hörbuch-Premiere in Halle stattfinden. Das Hörbuch zum Roman ist bereits in Bearbeitung, als Sprecherin konnte Gudrun Landgrebe gewonnen werden. Schneider: Es hat großen Spaß gemacht, mit Gudrun Landgrebe das Hörbuch einzulesen. Sie hat eine wunderbar leichte Art zu lesen und gibt den Figuren dennoch Tiefe. Insgesamt sind es 20 Stunden an Lesezeit geworden. Ich habe nicht erwartet, dass mein Roman so viel Raum in Anspruch nehmen wird. Wir befinden uns gerade in der Phase der Endfertigung, bei der Premiere werden wir dann zusammen lesen, worauf ich mich auch schon sehr freue. Herzlichen Dank für das Gespräch! Mario Schneider Die Paradiese von gestern 552 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen 978-3-96311-614-8, € 28,80 Mitteldeutscher Verlag, ET: März sortimenterbrief 3/22 07


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