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Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe November 2020.

novitäten interview

novitäten interview Ossi Hejlek im Gespräch mit Gerhard Blasche »Erholung passiert nicht mehr automatisch. Die Arbeit wurde so effizient, dass es keine Leerläufe mehr gibt.« © Meduni Wien Advertorial Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerhard Blasche geb. 1963, Gesundheitspsychologe, klinischer Psychologe und Psychotherapeut, ist Dozent am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Sein Forschungsgebiet ist die Ermüdung durch und die Erholung von der Arbeit. Er beschäftigt sich unter anderem mit den Auswirkungen von Arbeit, Freizeit, Urlaub und Arbeitspausen auf Ermüdung und Wohlbefinden sowie mit der Förderung von Erholung. Bis dato hat er über 90 facheinschlägige Publikationen verfasst, darunter eine der ersten Studien über die Auswirkung von Urlaub auf das Wohlbefinden im Jahr 2000. Nebenher ist er niedergelassener Psychotherapeut und klinischer Psychologe in Wien. www.blasche.at In welchen Arbeitsbereichen sind Sie tätig? Blasche: Ich bin niedergelassener Psychologe und Psychotherapeut in eigener Praxis und arbeite seit über 25 Jahren an der Medizinischen Universität Wien. Das Buch beruht im Wesentlichen auf meinen Forschungen an der MedUni Wien. Vor über 15 Jahren begann ich, mich für den Effekt von Urlauben zu interessieren – beschäftigte mich davor schon mit der Kurforschung und der Balneologie. Ich betrachtete den Urlaub als Kur ohne Begleittherapien, wodurch ich rasch in die Erholungsforschung kam. Die Effekte des Urlaubs auf den Menschen waren zu dieser Zeit noch gar nicht erforscht. Das Buch basiert somit auf meinen wissenschaftlichen Arbeiten, aber auch auf den klinischen Erfahrungen mit Patienten in meiner Praxis, die im weitesten Sinn Schwierigkeiten mit der Erholung haben bzw. Ermüdungserscheinungen aufweisen. Nehmen Sie in Ihrer Praxis nach wie vor einen Anstieg von Burnout-Indikationen wahr? Blasche: Vor 20 Jahren wurde dieses Krankheitsbild noch belächelt, stieg dann in seinem Vorkommen drastisch an und hat mittlerweile einen gewissen Plafond erreicht. Aus Versicherungssicht hat das Burnout die Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates in puncto Arbeitsunfähigkeits- und Invaliditätspension abgelöst. Die Globalisierung führte zu Verschlankungen in den Firmenstrukturen, was wiederum mit einer Erhöhung des Arbeits-, Zeitund Termindrucks einherging. Erholung passiert nicht mehr automatisch. Die Arbeit wurde so effizient, dass es fast keine Leerläufe mehr gibt. Personalressourcen sind rar geworden. Wie sieht es mit der Vorsorge aus? Blasche: Prävention und Beratung sind große Aufgaben ... Es dauert jedoch Jahre, bis sich diese in einer relevanten Verhaltensänderung niederschlagen. Beim Thema Erholung befinden wir uns da noch am Anfang. Parallel werden die Schrauben in der Arbeitswelt weiter angezogen? Blasche: Allseits wird erwartet, dass Arbeitsprozesse schneller ablaufen, mitunter bedingt durch die elektronischen Welten und Kommunikationsmöglichkeiten. Natürlich wuchs dadurch die Effizienz – der Mensch jedoch leidet darunter, da er nicht kontinuierlich in dieser Intensität arbeiten kann. Die permanente Verfügbarkeit – aktiv wie 70 sortimenterbrief 11/20

passiv –, das E-Mail-Checken am Abend und am Wochenende, die Verantwortungen in Sozialen Netzwerken ... das ist in Summe eine Belastung. Das dauernde Erinnern an die Arbeit, der konstant gehobene Aktivierungspegel ... behindert tatsächlich die Erholung. Ein anderer Umgang mit Smartphone und Co. gehört initiiert. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Gefahren in puncto Homeoffice? Blasche: Da sehe ich große Problematiken lauern, mit denen man erst lernen muss, umzugehen. Es bietet Vorund Nachteile in Sachen Erholung. Es erfordert aber auch ein Mehr an Planung und Bewusstheit. Sie differenzieren im Buch zwischen Müdigkeit und Schläfrigkeit ...? Blasche: Schläfrigkeit steht in Zusammenhang mit Schlafentzug. Die Ermüdung ist eine Folgeerscheinung der vorangegangenen Anstrengung. Das führt in weiterer Folge zu Leistungseinbruch und Steigerung des Unfallrisikos. Das Tückische sind Arbeitstage mit zehn Stunden aufwärts. Dann fehlt die Zeit für Erholung in der Freizeit und auch für den Schlaf. Ihren Studien nach ist der Aspekt der Arbeit zwar eine wesentliche Triebfeder für die Erschöpfungs- und Ermüdungssymptome in der heutigen Gesellschaft, aber es sind noch einige weitere Dynamiken an diesem Prozess beteiligt. Was macht uns außerdem müde? Blasche: Nicht nur die Verdichtung der Arbeit ist relevant, sondern auch die Verdichtung des Lebens. Früher hat man über das Wort Freizeitstress gelacht. Heute ist man tatsächlich genötigt, sich von vielen Angeboten abzugrenzen. Die Dichte ist ein Ergebnis der Marktwirtschaft. Ein Zuviel an Angeboten macht nicht glücklich, sondern ermüdet. Natürlich hat die eigene Einstellung zur Arbeit ihr Gewicht in diesem Prozess – wie sehr wir uns beispielsweise mit ihr identifizieren, wie wichtig uns Erfolg, aber auch das Abwenden von potenziellem Misserfolg sind. Gesellschaftliche Normen nähren diesen Zustand, diese Werte. Wobei es auch beim Burnout viel mehr Faktoren im Hintergrund sind, die letztendlich die Flucht in die Arbeit und die daraus resultierende Erschöpfung bedingen? Blasche: Beziehungsprobleme, unaufgearbeitete psychische Belastungen sind ein Mitgrund, warum man sich in die vermeintliche Sicherheit der Arbeit zurückzieht. Insbesondere sind es aber auch Bedürfnisse nach Anerkennung und Wertschätzung. Wie definieren Sie Erholung? Blasche: Es geht dabei nicht nur ums Rasten – also das Abschließen des Arbeitsprozesses. Das gehört natürlich dazu. Erholung ist aber, wie bereits erwähnt, auch die Befriedigung psychischer Bedürfnisse wie Selbstbestimmung, Bestätigung oder Zugehörigkeit zu anderen Menschen – auch außerhalb der Arbeit. Erholung bedeutet somit nicht zwangsläufig, nichts zu tun. Das Buch versteht sich ja nicht nur als informatives Sachbuch, sondern durch die von Ihnen an den Enden der Kapitel zusammengefassten Ratschläge auch als praktischer Ratgeber. novitäten interview Blasche: Das Buch ist für jeden Mann und jede Frau – jeden Alters. Mit den Tipps versuche ich, die jeweiligen Punkte alltagsgerecht aufzubereiten. Der wissenschaftliche Hintergrund unterscheidet das Buch jedoch deutlich von einem typischen Ratgeber. In der Einleitung schreiben Sie über die Fertigstellung des Buches während des Lockdowns, heben dabei Begriffe wie Stille hervor, beschreiben diese Zeit als eine, in der vieles ruhte – ohne zu fehlen. Blasche: Wir können uns dem gesellschaftlichen Sog nur schwer entziehen. Viel von dieser im Lockdown gewonnen Erkenntnis ist nicht geblieben. Es war ein kollektives Erlebnis, das aufzeigte, wie es einem geht, wenn alles runtergefahren wird. Als psychologische Erfahrung im Hintergrund weiß man jetzt, dass das schon seine Qualität hat. Und die Frage, ob all das, womit wir uns umgeben und was wir tun, auch wirklich gebraucht wird, ist für viele ein ständiger Begleiter geworden. Danke für das Gespräch! Gerhard Blasche Erholung 4.0 Warum sie wichtiger ist denn je 256 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-99002-115-6 € 24,90 | facultas/maudrich www.facultas.at/maudrich sortimenterbrief 11/20 71


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