Unsere Online-Publikationen zum Blättern

Aufrufe
vor 1 Jahr

sortimenterbrief november 2022

  • Text
  • Hörbuch
  • Krimi
  • Regionalkrimi
  • Sachbuch
  • November
  • Geschichten
  • Verlag
  • Weihnachten
  • Sortimenterbrief
  • Buch
Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe November 2022.

die biografie von

die biografie von georges nagelmackers © Ingrid Götz Teresa Petrovitz im Gespräch mit Gerhard J. Rekel Die faszinierende Geschichte des Orient-Express und seines Erfinders Advertorial Herr Rekel, Sie sind vielseitig tätig, haben u. a. Drehbücher für den Tatort geschrieben, Hörspiele und Theaterstücke verfasst und mit Der Duft des Kaffees ein hoch gelobtes Romandebüt vorgelegt. Ihr neuestes Buch Monsieur Orient-Express zeichnet das faszinierende Leben von Georges Nagelmackers und seinem Orient-Express nach. Wie sind Sie auf das Thema gestoßen? Rekel: Einerseits bin ich der Enkel zweier Eisenbahner, die Freude am Entdecken neuer Welten liegt mir vermutlich im Blut. Andererseits durfte ich für den ORF und ZDF einen Film über den Orient-Express drehen. Dabei ist mir aufgefallen: Der Mann hinter dem „König der Züge“ ist ein unglaublich faszinierender Charakter. Vor allem: Georges Nagelmackers’ Leben ist eine leidenschaftliche Liebesgeschichte! Privat und beruflich. Wie er seine Idee vom „grenzenlosen Reisen in Europa“ verwirklicht hat, mit welch subtilen Methoden er über 180 Nachtzugverbindungen als Privatunternehmer durchgesetzt hat, wie er Politiker, Banker und Eisenbahnverwalter überzeugt hat, ist beeindruckend und angesichts unserer momentanen Situation in Europa aktueller denn je. Jahrzehntelang kämpfte Nagelmackers für seine Vision und um die Liebe seiner Frau. Es war ein dramatisches Auf und Ab zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Scheitern und Triumph, erlittenem Spott und großer Verehrung. Und weil es weltweit noch keine Biografie über diesen mutigen „Weltenverbinder“ gab, habe ich diese geschrieben − frei nach Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Bahnhöfe und Züge umgibt immer eine spezielle Aura, für viele sind sie Orte des Aufbruchs, des Unbekannten. Welche Assoziationen lösen diese Räume bei Ihnen aus? Rekel: Bahnhöfe sind Kathedralen des Abschieds, des Fernwehs und des Aufbruchs. Die Anmutung eines Bahnhofs, das Einsteigen der Reisenden mit ihren Koffern, das Umspringen des Signals von Rot auf Grün, die Geräusche des anfahrenden Zugs − all das sind Versprechen. Versprechen auf eine andere Stadt, ein anderes Land, eine andere Welt. Ein Versprechen auf etwas Unbekanntes und möglicherweise Geheimnisvolles und Schönes. Der Beginn einer Geschichte. Die Geschichte Nagelmackers’ und seines Zug-Projekts haben Sie in Ihrem Buch minutiös nachgezeichnet. Wie und wie lange haben Sie recherchiert? Rekel: Nahezu zwei Jahre. Mithilfe von Expert:innen und vielen Besuchen in Archiven ist es gelungen, das turbulente Leben Nagelmackers’ Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen nachzuzeichnen. Eine Vielzahl von biografischen Details war bis dato unbekannt und noch nie veröffentlicht – zum Beispiel, dass Georges Nagelmackers mit seiner großen Liebe, einer geschiedenen Frau aus der Schweiz, neun Jahre lang in wilder Ehe mit dem gemeinsamen Sohn lebte, was in der damaligen Zeit und mit seiner bürgerlich-katholischen Großfamilie im Hintergrund ein Skandal war. Als was für ein Mensch hat sich Ihnen Nagelmackers bei Ihren Recherchen gezeigt? Rekel: Auf der einen Seite agierte er sehr pragmatisch, er war ein subtiler Diplomat, anders hätte er die vielen Politiker und bürokratischen Bahnverwaltungen nicht davon überzeugen können, seine Züge auf ihren Gleisen fahren zu lassen. Auf der anderen Seite muss er auch ein großer Romantiker gewesen sein. Nicht nur, dass seine Hinwendung zur Eisenbahn mit einer unglücklichen Liebesgeschichte begann, er hat auch davon geträumt, Europa und Asien mit seinen Nachtzügen zu verbinden. Was ihm an- 60 sortimenterbrief 11/22

… und wie man politische grenzen überwindet satzweise durch seinen Transsibirien- Express auch gelungen ist. Diese unglückliche Liebesgeschichte entwickelte sich aus der skandalösen Liebe zu seiner älteren Cousine. Der Vater schickte ihn deshalb in die USA, wo Nagelmackers das Bahnwesen durch viele Zugreisen für sich entdeckte. Für viele von uns ist es kaum vorstellbar, unter welchen Bedingungen in den ersten Zügen gereist wurde und wie es um die Arbeitsverhältnisse im Bahnwesen bestellt war. Rekel: Das Reisen im 19. Jahrhundert war eine Tortur. Es gab auf den meisten Verbindungen nur die Postkutsche. Diese brauchte von Berlin bis Wien etwa sieben Tage. Meist waren die Passagiere zu sechst in eine enge Koje gequetscht. Ohne Licht und Heizung. Man wurde permanent durchgeschüttelt. Alle drei Stunden mussten die Pferde gewechselt werden. Die Durchschnittsgeschwindigkeit: 15 km/h. Angesichts dieser Art von Reisen wird erst klar, wie gut es uns heute geht. Interessant sind vor allem auch die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bedingungen, die die Entwicklung des Orient-Express begleitet, aber auch immer wieder vereitelt haben. Rekel: Als Georges Nagelmackers 1870 sein Business-Konzept veröffentlichte, hielten ihn alle für verrückt. Die Bankiers, die Bahnverwaltungen, die Politiker, ja sogar sein Vater, ein erfahrener Geschäftsmann, meinte: „Mein lieber Sohn, das ist die falsche Idee zur falschen Zeit!“ Denn in Europa boomte der Nationalismus, jedes Land grenzte sich noch mehr vom Nachbarn ab, und die Eisenbahn wurde weitgehend dafür verwendet, um Truppen, Munition und Waffen an die Grenzen zu bringen. Doch Georges Nagelmackers verfolgte hartnäckig seinen Traum vom „grenzenlosen Reisen in Europa“. Über dreißig Jahre lang. Für mich ist Nagelmackers in mancher Hinsicht ein Steve Jobs oder Elon Musk des 19.Jahrhunderts. Wie lange hat die Umsetzung des Orient-Express insgesamt gedauert? Rekel: Dreizehn Jahre. Und diese dreizehn Jahre verliefen turbulent, denn Nagelmackers stand zweimal vor dem Bankrott, musste sich mit einem in Amerika gesuchten Betrüger zusammentun, um seine Firma zu retten. Er kämpfte gegen den in den USA erfolgreichen George Mortimer Pullman, der ihm mit seinen amerikanischen Schlafwagen plötzlich in Europa Konkurrenz zu machen drohte − was in den sogenannten Schlafwagenkrieg mündete. Am 5. Juni 1883 konnte der Orient-Express das erste Mal seine Reise von Paris bis Istanbul aufnehmen, mit illustren Gästen, denen empfohlen wurde, sich aus Sicherheitsgründen für die Fahrt zu bewaffnen. Wie lief diese teilweise durchaus skurrile Reise ab? Rekel: Diese Premierenreise war so spannend und voller dramatischer Zwischenfälle, als ob sie Agatha Christie geschrieben hätte. Obwohl Nagelmackers die erste Fahrt akribisch vorbereitet hatte, die besten Speisen servieren ließ, den Fahrplan, das Service und die Mitarbeiter:innen selbst überwachte, kam es alle paar Stunden zu unvorhergesehenen Ereignissen. Der Zug vor ihnen wurde überfallen, eine Gruppe Musiker kaperte den Speisewagen, dann wurden die Reisenden genötigt, bei heftigem Regen und durch Schlamm der spontanen Einladung des rumänischen Königs auf sein neues Schloss zu folgen. Schließlich musste Nagelmackers sogar einen Stier aus dem Gleisbett locken, der justament den Weg für den Zug nicht frei machen wollte. Heute ist der Blick auf den Orient-Express vor allem ein nostalgischer, auch durch die vielen Verarbeitungen in Literatur und Film. Sie haben bereits Agatha Christie erwähnt, die mit Mord im Orient-Express einen unvergessenen Klassiker geschaffen hat, auch die Verfilmung mit Albert Finney ist Teil unseres kulturellen Gedächtnisses geworden. Was macht den Orient-Express für die Kunst so reizvoll? Rekel: In jedem Werk, in dem der Orient-Express eine Rolle spielt, löst er bei Leser:innen oder Zuseher:innen ein spezielles Gefühl aus. Es entspricht dem Gegenteil vom Reisen mit dem Flugzeug. Flüge verlaufen immer ähnlich, und Flughäfen sehen überall auf der Welt gleich aus. Im Zug hingegen erlebt man, wie sich die Landschaft langsam verändert. Man bekommt ein Gefühl für Entfernung, betrachtet Städte, Dörfer, Menschen. Man sieht Details. Oder wie der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk es so wundervoll ausdrückt: „Man genießt die Schönheit der Welt durch ein Abteilfenster.“ Vor allem kann der Reisende langsam in eine fremde Welt eintauchen. Besonders wichtig: das Ankommen. Das erste Mal den Duft der neuen Stadt wahrnehmen, die fremden Geräusche, das Meeresrauschen, die Möwen, das Knarren von Fensterbalken. Schon Umberto Eco meinte, die Annäherung an eine fremde Stadt sei etwas Besonderes: „Man sollte sie unbedingt in kleinen Schlucken auskosten!“ Herzlichen Dank für das Gespräch! Gerhard J. Rekel Monsieur Orient-Express. Wie es Georges Nagelmackers gelang, Welten zu verbinden 288 Seiten, zahlreiche Illustrationen, Hardcover mit Schutzumschlag, ISBN 978-3-218-01305-5 € 25,– | Kremayr & Scheriau sortimenterbrief 11/22 61


sortimenterbrief

Copyright 2023 | All Rights Reserved | Verlagsbüro Karl Schwarzer Ges.m.b.H.
Empfehlen Sie uns weiter!