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sortimenterbrief Oktober 2021

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Das österreichische Branchenmagazin für Buchmarkt, Buchverkauf und Buchwerbung. Ausgabe Oktober 2021.

Denn die Welt wird

Denn die Welt wird digital, genauer: noch viel digitaler, als sie es derzeit bereits ist. Nun gut, dem zu widersprechen wäre ziemlich vertrottelt. Dennoch bleibt zu hinterfragen, ob dies vor allem anderen der Grund dafür ist, die Digitalisierung der Schulen und der Bildungsmedien voranzutreiben. Devices als das Nonplusultra der Wissensbeschaffung, möglicherweise auch noch gekoppelt mit Open-Source- Lösungen anstelle der die Lehrpläne unterstützenden, approbierten Bildungsmedien. Hat die aktuelle digitale Euphorie von Österreichs Bildungsmachern dieses Ziel? Wenn ja, dann sollte ein Blick in Befragungen, vor allem aber in relevante Forschungsergebnisse hilfreich sein. Lernen, üben und merken Auszubildende, deren Eltern und Lehrende sind in den Jahren 2017 und 2018 quer durch Österreich befragt worden, wie sich denn ihr „Masterplan zur Entwicklung von Bildungsmedien“ gestalte. Eine Auftragsarbeit des Fachverbandes der Buchund Medienwirtschaft Österreichs, zugegeben. Wesentlich dabei: eine Umfrage ohne Suggestivfragen, durchgeführt von einem unabhängigen Institut. Das Ergebnis, kompakt zusammengefasst: Für den Unterricht wünscht man sich – man sind Auszubildende, Lehrende und Eltern – ein Doppelmedium aus Print und Digital. Jenes hybride System, approbiert überdies, das in Österreich seit vielen Jahren entwickelt wird und das international Beachtung findet. Exakt in dieser hybriden Welt des Lesens und Lernens und Merkens, drei wesentlichen Zutaten der Bildung, gilt es herauszufinden, so reflektiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) das Stavanger-Papier, wie die jeweiligen Vorteile der Studie und der digitalen Technologien in unterschiedlichen Altersgruppen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen am besten zu nutzen sein werden. Lesen und merken Im Zeitraum ab 2015, öffentlich gemacht wird sie 2019, arbeiten 130 Leseforscher aus rund 30 europäischen Ländern an der Stavanger-Erklärung. Darin geht es um den Umbau der Lesewelten von Print auf Digital. In der Tiefe dieser komplexen Metastudie, an der 170.000 Personen teilgenommen haben, wird das Röntgen auf eine überaus relevante Frage gerichtet. Nämlich diese: Warum nehmen Leserinnen und Leser aller Altersstufen Texte auf Bildschirmen weniger ernst als gedruckte Texte? Alleine aus dieser einen Frage lässt sich sinnfällig ableiten, dass Bildschirme und bedrucktes Papier als Lesemedien nicht gleichwertig sind. Müßig hinzuzufügen, aber sei’s drum: Dem „papierenen“ Lesen folgt das Lernen, diesem wiederum das Merken. Dem digitalen Lesen folgt das Überfliegen, das unkonzentrierte Lesen. Durchaus mit Ausnahmen, etwa bei technischen Texten, bei „Anweisungen“, bei Formeln. Ein weiteres Zitat zur Metastudie aus der FAZ: Die Forschung zeigt, dass Papier weiterhin das bevorzugte Lesemedium für einzelne längere Texte bleiben wird, vor allem, wenn es um ein tieferes Verständnis der Texte und um das Behalten geht. Außerdem ist Papier der beste Träger für das Lesen langer informativer Texte. Das Lesen langer Texte ist von unschätzbarem Wert für eine Reihe kognitiver Leistungen wie Konzentration, Aufbau eines Wortschatzes und Gedächtnis. Daher ist es wichtig, dass wir das Lesen solcher Texte als eine unter mehreren Leseformen bewahren und fördern. Da das Bildschirmlesen weiter zunehmen wird, müssen wir dringend Möglichkeiten finden, das tiefe Lesen langer Texte in Bildschirmumgebungen zu erleichtern. Befunde aus Stavanger und Pisa Quasi nebenbei haben digitale Euphoriker den 130 Forscherinnen und Forschern, die die Stavanger-Erklärung formuliert und unterzeichnet haben, vorgeworfen, sie würden den unvermeidlichen Fortschritt aufhalten wollen. Dass nichts von dem der Fall ist, belegt alleine die Formulierung © Wirtschaftskammer Steiermark Komm.-Rat Friedrich Hinterschweiger, Obmann des Fachverbandes der Buch- und Medienwirtschaft „Niemand ist so verbohrt, die weitere Digitalisierung des Unterrichts infrage zu stellen. Doch sollte ein Schritt nach dem anderen gesetzt werden.“ in der Studie, man wolle einen „bedachtsamen Umbau der Lesewelten im digitalen Zeitalter“. Keine Rede davon, dass digitale Technologien beim Lesen lernen außen vor bleiben sollen. Die Stavanger- Erklärung ist vielmehr ein wohltuend klug eingestellter Blick in die Zukunft, die selbst auf individuelle Zugänge einzelner junger Menschen feinfühlig eingeht. Wobei man selbst dabei nicht nur in eine Richtung blickt und die Frage stellt, warum junge Menschen weniger motiviert sind, längere Texte zu lesen, z. B. Bücher. Denn daraus könnte langfristig ein manifestes gesellschaftliches Problem erwachsen. Klar, wenn die Samen des Vorlesens nicht mehr gesät werden, wird es die Triebe und Blüten des Selberlesens alsbald nicht mehr geben. Was indirekt auch eine Pisa-Studie bestätigt: Diese stellt bei Schülerinnen und Schülern eine Abnahme der Leseleistung im Allgemeinen und jene des Lesens in der Freizeit fest. Schwammige Zielsetzungen Corona hat im Bereich der Bildung spontane Entwicklungen befeuert. Lockdowns und Schulschließungen sind (möglicherweise) dem Virus geschuldet gewesen. Als > 32 sortimenterbrief 10/21

Folge davon hat sich Distance Learning entwickelt. Wobei hier der Name auch Programm zu sein scheint. Denn Distanzen wurden auf mehreren Ebenen ungewollt aufgebaut. So hat man sich sozial voneinander entfernt. Es gibt dazu ausreichend Belege aus der Soziologie, der Psychologie und der Psychiatrie, wie sehr sich Menschen und deren Sozietät verändert haben. Entwickelt hat sich zudem die Distanz beim Lesen und Lernen. Wenn selbst Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten händeringend die Öffnung von Bildungsstätten herbeisehnen, so ist das wohl Zeichen genug, was es geschlagen hat. Just die Digital Natives sehnen sich nach Menschen und deren Geschick, erklärend zu Wissen zu führen. Noch vor der Pandemie hätte man dies als Anachronismus eingeordnet. Rezensionen Wem nützt sie also, die digitale Euphorie? Nun, es wird Hardware angekauft für Lehrende und Auszubildende. Das ist gut, eigentlich überfällig. Und Lehrende werden ausgebildet, um im Zuge der Digitalisierung die Lehrinhalte mittelfristig adäquat vermitteln zu können. Auch gut, wenngleich überfällig. Parallel dazu wird eine Vereinheitlichung von Lehr- und Lernprozessen angestrebt, wiewohl in offiziellen Stellungnahmen, z. B. gegenüber der Presse, eine Individualisierung derselben kommuniziert wird. Ein Widerspruch, den es alsbald aufzuklären gilt. Die Interessen der Buchbranche Schließlich: Ja, die heimische Buchbranche produziert Bildungsmedien für Schulen und Universitäten in Österreich. Doch sie entwickelt auch digitale Medien. So ist es nicht im Interesse dieser Branche, „einen Nagel in die Uhr zu schlagen“, wie es Mag. Karl Herzberger, der Geschäftsführer des Fachverbandes, formuliert. Denn jedermann sei bewusst, dass die digitalen Helferleins unseren Alltag maßgeblich erleichtern. Vor diesem Hintergrund verfolgt die Buch- und Medienwirtschaft seit rund zwei Jahrzehnten den hybriden Weg. Schulbuch-Extra, Cyberhomeworks und DIGI4SCHOOL sind die entsprechenden Codes dazu. Und der Fachverband der Buch- und Medienwirtschaft tut überdies das Folgende: Er empfiehlt einige Publikationen, deren Autorinnen und Autoren sich mit der Digitalisierung aus verschiedenen Blickwinkeln beschäftigen. Eine qualitätvolle Auswahl – insgesamt sechs Rezensionen – soll den Einstieg in eine objektive Auseinandersetzung erleichtern. • Digitaler Stress Wie er uns kaputt macht und was wir dagegen tun können Autor: Prof. Dr. René Riedl Verlag: Linde Die Katastrophe der Digitalen Bildung Warum Tablets Schüler nicht klüger machen – und Menschen die besseren Lehrer sind Autor: Ingo Leipner © LindeVerlag: Redline © Redline Der Autor ist Professor für Digital Business und Innovation an der FH Oberösterreich. Er gilt als einer der weltweit führenden Wissenschaftler in der Erforschung der neuropsychologischen Wirkungen der menschlichen Interaktion mit digitalen Technologien, berät Unternehmen in Fragestellungen der Digitalisierung und ist gefragter Referent bei Wissenschaft und Praxis. Ob App am Smartphone, E-Mail am Laptop, Arbeit im Home Office und Co – der digitale Stress ist ein real existierendes Phänomen im deutschsprachigen Raum, wie seine aktuelle Studie beweist. „Die Studie zeigt zudem, dass digitaler Stress verschiedene negative Konsequenzen mit sich bringt: Emotionale Erschöpfung, weniger Zufriedenheit mit dem Job, genereller Job-Stress, reduzierte Benutzerzufriedenheit, geschwächte mentale Gesundheit und depressive Symptome werden von den Befragten in der ein oder anderen Form beschrieben“, so Riedl. • Ingo Leipner ist Diplom-Volkswirt und Wirtschaftsjournalist, gefragter Referent und betreibt seine eigene Textagentur EcoWords. Im flüssigen Stil zeigt der Autor auf, dass digitaler Unterricht nicht funktioniert und warum. Wir erfahren über das klägliche Scheitern des Maurice de Hond mit seinen gehypten Steve-Jobs- Schulen in Holland. Aus Japan berichtet er über das Phänomen der Hikikomori: Menschen, die jahrelang ihr Zimmer nicht verlassen. Anhand von wissenschaftlichen Studien wird sichtbar gemacht, warum Schüler am besten mit Büchern lernen. Dass diese Erkenntnis durchaus im Praxisalltag der Eltern im Silicon Valley angewandt wird, ist erstaunlich, denn die Kinder der milliardenschweren Computergurus wie Steve Jobs, Tim Cook oder Bill Gates werden bewusst von den digitalen Medien ferngehalten und nicht an den Computer herangelassen. • sortimenterbrief 10/21 33


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